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Das Glück der Erde
"Mitreiten, Konny!
Mitreiten!"
Verwirrt hielt MM Ausschau nach einem pferdelosen Kind,
sah aber nur fünf braune und ein schwarzes Pferd mit je
einem Teenager im Sattel in der Reithalle. In der Mitte
der Bahn stand Martin Gall, und sie hatte seine Stimme hören
können, lange bevor sie an der Halle angekommen war. Er
brüllte herum wie auf dem Exerzierplatz, aber
eigenartigerweise schien das keines der Mädchen auf den
Pferden zu irritieren.
"Halt ihn mit dem rechten Zügel unter Spannung!
Aber doch nicht so stark stellen! Der beißt dir ja
gleich in den Stiefel!" tönte er jetzt gerade
wieder durch den Raum. "Und ich sag es dir jetzt zum
letzten Mal, Konny, r e i t e !!! Äußerer Zügel,
innerer Schenkel, Kerstin! Wie oft soll ich dir das heute
noch sagen. Und mach verdammt noch mal die Beine zu!"
Mathilde stand am Rand der Sandbahn hinter einer Holzbrüstung,
von der sie später lernen sollte, daß sie "Bande"
heißt, und staunte. "Bleib sitzen", hieß es
immer wieder und "mach das Bein lang" und
"außen dranbleiben" und "nicht so weit
Stellung geben".
Es war der kleinen Bewährungshelferin unmöglich, das,
was sie hörte, in irgendeinen Zusammenhang zu bringen
mit dem, was sie sah. Jetzt zum Beispiel: "Vor mit
der Hand, laß ihn doch mal los!" schrie Martin Gall
eine kleine Blonde mit Pagenschnitt schon zum dritten Mal
an. Mathilde konnte aber nicht erkennen, daß die irgend
etwas mit ihren Händen tat, geschweige denn die Zügel
losließ. Und als der Reitlehrer nach seiner dritten
Aufforderung das Mädchen lobte, "So ist es besser,
jetzt läßt er den Kopf fallen!" konnte sie den
ihren nur dezent schütteln.
Eine Viertelstunde verging, eine halbe, und nach einer ¾
Stunde, als die Stunde schon fast zu Ende war, hatte sie
immer noch nicht die leiseste Idee, was es hieß, "mit
dem Bein zu kommen" und eine Aufforderung wie "Schieb
ihn dir von hinten nach vorne durch!" ließen ihr
Zweifel kommen, in was für eine Art Veranstaltung sie da
geraten war.
Reitstunde bei Martin Gall um 14.00 Uhr stand am
schwarzen Brett. Danach Ferienstunde für die Gäste -
die Frauengruppe also. Na, wenn der Herr in der Mitte der
Halle mit den Kölner Frauen genauso eine Show abzog wie
mit den Teenies, konnte er seinen Unterricht vergessen.
Da, schon wieder: "Bleib sitzen Konny! Und Brust
raus! Komm, komm, Mädchen, zeig was du hast. Mit dem
Buckel, den du machst, kommst beim Reiten nicht weit und
bei den Männern auch nicht!" spottete der
Hofbesitzer.
Und dann ging es wieder weiter mit "innen" und
"außen" und "Handwechseln", die aber
anscheinend nichts zu tun hatten mit den Händen der
Reiterinnen, sondern zur Folge hatten, daß alle
hintereinander diagonal durch die Halle ritten und die
Pferde anschließend in die andere Richtung liefen.
Als nach einer knappen Stunde alles vorbei war, war
Mathilde heil froh, daß sie es hinter sich hatte und
diesem Gemecker und Gebrüll nicht länger zuhören mußte.
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