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Guten Morgen Oberhausen

I

Fräulein "Raus-hier" war außer sich!
Wie an jedem Sonntag, den der Herrgott ihr schenkte hatte sie sich eine Stunde mehr Schlaf gegönnt als unter der Woche. Also betrat sie erst gegen 7.30 Uhr die Großküche des Rosenhofs. Immer noch früh genug, um rasch den Teig für einen Hefezopf anzusetzen, bevor es Zeit wurde, in die Kirche zu gehen.
Jetzt stand sie in der Vorratskammer und war - wie gesagt - außer sich.
Plünderung! Diebstahl!
Jemand war in ihr Reich eingebrochen und hatte sie auf schamlose Weise beraubt. Und sie hatte auch schon einen Verdacht, wer sich diese Ungeheuerlichkeit erlaubt haben könnte. Da war doch diese Frauengruppe, sie schnaubte verächtlich. Frauengruppe, wenn sie dat schon hörte! Dat warn durch die Bank Süchtige. Hatte die Betreuerin selbst zugegeben. Dschankies, sagte man jetzt dazu. Neulich, bei XY ungelöst hatten sie noch so'n Fall gezeigt. Alles war denen zuzutrauen. Einfach alles! Un wie die aussahen! Abgerissene Klamotten, spindeldürr fast alle und wat dat Schlimmste war: Zwei von denen hatten noch nich ma mehr Zähne im Mund. Un dann überall diese Ringe und Metallperlen un wat die sich nich sonst noch alles durch die Haut gestochen hatten; ekelhaft. Einfach
e-k-e-l-h-a-f-t . Un dann waren die auch noch bemalt. Nich alle, aber die meisten hatten irgendwo sonne Tätowierung. Dat sah vielleicht aus. Sie schüttelte erbost den Kopf. Na denen würd se schon Ordnung beibringen in die vierzehn Tagen, die die hier bleiben sollten. Ganz neue Erfahrung sollten die machen, hatte die Betreuerin gesagt. Oja, da würde sie schon für sorgen, dat dat 'ne ganz neue Erfahrung geben würde für diese Horde! Diese undisziplinierte! Un dat alles inne Vorosterwochen! Als ob se nich schon genuch Aabeit hätte!
Sie stapfte empört aus dem Vorratsraum.
Dabei sah sie einem fleischgewordenen Exemplar von Popeys Frau nicht ganz unähnlich. Die schwarzen, von grauen Strähnen durchzogenen Haare hatte sie zu einem Knoten zusammengerafft, der spillerige Oberkörper mit den dünnen Ärmchen, sah aus, als könnte er eine Portion Spinat gut vertragen, und ergänzt wurde diese Komposition durch einen Unterbau, dessen rechteckiger Zuschnitt nur durch die schlapp um die Hüften schlabbernde Schürze durchbrochen wurde. Im Unterschied zu Popeys Gattin war Fräulein "Raus-hier" jedoch ledig - ein klassisches spätes Mädchen - und lebte solange sie denken konnte auf dem Rosenhof. Ihren Spitznamen hatten ihr vor Jahren die Ferienkinder gegeben, die Jahr für Jahr in den Schulferien den Hof unsicher machten. Denn kaum näherte sich ein Unbefugter der Küche - und nach Ansicht von Fräulein "Raus-hier" gab es kaum Befugte auf diesem Planeten - donnerte sie ihm ein energisches "Raus-hier" entgegen und schlug damit in der Regel alle Eindringlinge in die Flucht. Ganz früher hatte sie die "Fromme Helene" geheißen, denn sie war gläubige Katholikin, gesegnet mit der Naivität derer, denen der Buchstabe heilig ist, und sie war getauft auf den Namen Helene Geistritt. Ein Nachname im übrigen, der das Leben auch nicht gerade leichter machte, lud er doch förmlich zu Wortspielen ein. Je nach Betonung wurde ihr Name in ihren Kindertagen als Geis-tritt oder Geist-ritt karikiert. Vor allem die zweite Interpretation hatte Helene in ihrer Kindheit großen Kummer bereitet.
Aber wat war dat alles gegen ihr aktuelles Problem: Kein Mehl, keine Milch un nur noch halb so viel Hefe wie nötig! Nun, et half alles nix, sie mußte in den Vorratsraum unter de Reiterklause gehn, un aussem Lager Nachschub holen. Wie sie dat haßte! 'n Fußmarsch quer über'n Hof un dann au noch runter in dat kalte, düstere Gemäuer! War früher mal 'n Bunker gewesen. Den hätten 'se besser sprengen soll'n statt da drüber 'ne Reithalle zu bauen. Aba hier hörte ja keiner auf sie! Wenn se bloß einen mitnehmen könnte. Aba natürlich waren alle Rosenhöfler wieder auf Achse! Zu irgendwelche Reitturniere unterwechs oder mitn Hund raus. Pha!
Mürrisch und leise vor sich hin schimpfend machte sie sich auf den Weg.