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Montag

Sinatra saß auf der Waschmaschine, bereit, der Welt eine Lektion in Wohlbefinden, Genuß und Muße zu erteilen. Blinzelnd verfolgte er die Strahlen der Morgensonne, die probeweise durch das niedrige Wasch- küchenfenster fielen und den muffig riechenden Raum mit spärlichem Licht erfüllten. Mit mäßigem Interesse beäugte er dann die Fliege, die nach einigen waghalsigen Loopings auf dem linken Ohr des Mannes zur Landung gekommen war. Sein Interesse erwachte erst, als das Insekt unter leisem Brummen im Gehörgang der Leiche verschwand. Einen Moment lang zog er in Erwägung, den Leichenkrabbler zu erlegen - das Verschwinden in Öffnungen stellt nun mal eine Herausforderung an das Beutefangverhalten der Feliden* dar - aber satt und zufrieden wie er sich nach einem ausgiebigen Katerfrühstück fühlte, nahm er von diesem Plan rasch wieder Abstand.

Sinatra, der samtpfotige Totenwächter, trug seinen Namen des herzer- weichenden Gesanges wegen, den er vor 4 Jahren bei seiner Ankunft in der Therapeutischen Einrichtung für Suchtmittelabhängige in Oberhausen (TESO) mit durchschlagendem Erfolg zum Vortrag brachte. Er hatte damals gerade eine längere Odyssee durch das herbstliche Mülleimermilieu Oberhausens hinter sich und suchte eine feste Bleibe für den Winter. Die Qualität der therapeutisch-kullinarischen Abfallprodukte gab dann den Ausschlag für seine Entscheidung, dauerhaft in der TESO zu stranden. Diese Entscheidung aus dem

- buchstäblich knurrenden - Bauch heraus hatte sich übrigens als durchaus richtig erwiesen. Sinatra hatte seitdem nicht unerheblich an Gewicht zugelegt, ohne dabei jedoch auch nur eine Spur der tänzerischen Grazie einzubüßen, die als zweites kausales Agens seiner Namensfindung Pate gestanden hatte.

Mit dem neuen Erscheinungsbild des menschlichen Schreihalses, der ihm jetzt reglos zu Füßen lag, war der vierbeinige Experte für Abfallentsorgung im übrigen durchaus zufrieden. Als er sich vor ein paar Minuten durch das Kellerfenster Einlaß verschafft hatte und seinen Lieblingsfeind in ungewohnter Pose vorfand, hatte er zunächst ein gewisses Mißtrauen gehegt, ob die ungewohnte Stille, die von dem dezent verfärbten und für seine empfindliche Katernase mild stinkenden Körper ausging, sich als dauerhaft erweisen würde. In seinen Tagen als streunender Held der Müllhalde hatte er so manch üblen Trick dieser zweibeinigen Geschöpfe kennengelernt - aber seine Zweifel hinsichtlich dieses Exemplars hatten sich zwischenzeitlich zerstreut.

Der Unruhestifter war zum Schweigen gebracht - und zwar für immer !

Unter sonorem Schnurren begann er sich zu putzen. Er hatte schon krisenhaftere Situationen erlebt und würde sich nicht durch einen Leichenfund am frühen Morgen an der Körperpflege hindern lassen. Schließlich sprang der weichpfotige Charmeur mit einem gewagten Satz auf einen Stapel frisch gebügelter Bettwäsche, drehte sich auf dem duftenden Baumwollwackelturm ein paar Mal versuchsweise um die eigene Achse und rollte sich schließlich zufrieden zusammen.........